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Der Tod ist unser ständiger Begleiter – Interview mit Zwillings-Frühchen-Mama Claudia

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geschrieben von Agnes

Liebe Claudia, schön, dass Du Dich zu diesem Interview bereit erklärt hast, stell Dich doch einfach mal kurz vor, wer gehört alles zu Dir, woher kommt Ihr?

Ich bin Claudia, bin 29 Jahre alt und habe 2 Töchter von 5 Jahren. Wir sind ein reiner Frauenhaushalt (ich mag das Wort Alleinerziehende nicht so, auch wenn das stimmt aber irgendwie sind das doch die meisten Frauen, auch die mit Partner) und leben im schönen Vogtland.

Wie hast Du von Deiner Zwillingsschwangerschaft erfahren und was waren Deine ersten Gedanken dabei?

Dass ich schwanger bin, wusste ich ab der fünften SSW. Ich fühlte mich irgendwie anders und war beim Frauenarzt, der mir die freudige Mitteilung machte. In der siebten SSW dann, erfuhren wir (damals waren wir noch ein Paar) von meiner Frauenärztin, dass es eineiige Zwillinge sind. Ich war überwältigt von Emotionen aus allen Richtungen, darüber hatte ich nie nachgedacht. Aber letztlich fühlte es sich an, wie ein sechser im Lotto und wir freuten uns.

Wie hat Dein Umfeld auf die Schwangerschaft reagiert?

Überwiegend freudig. Allerdings war es nicht geplant und somit für alle eine riesen Überraschung. Je größer der Bauch wurde desto größer wurde die Freude.

Gab es Komplikationen und/oder in der Schwangerschaft? Konntest Du Deine Schwangerschaft genießen?

Bis zur 21SSW war ich eine überglücklich Schwangere. Bis auf ein wenig Übelkeit in den ersten Wochen, ging es mir blendend. Eines Abends hatte ich mal einen komischen Schmerz und schob es auf den Ischias und unser viel zu tiefes Bett 😀

Ein paar Tage später, kurz vor meinem 24 Geburtstag, erfuhr ich dann, dass dies eine Frühwehe war und sich mein Gebährmutterhals verkürzt hat. Eine Woche später zum nächsten Kontrolltermin war er noch kürzer geworden und ich wurde in die nächste Klinik eingewiesen. Dort verkürzte sich der Gebährmutterhals weiter und mir wurde mitgeteilt, dass alles unter der 24 SSW eine „normale“ Fehlgeburt sei.

Diesen Satz werde ich nie vergessen. Als wäre sowas normal!? Ich hatte nicht einmal an sowas gedacht. Ich wurde wieder verlegt in eine gut 100km entfernte Klinik mit Neonatologie. Dort wurde mir das ganze Thema Frühgeburt und die Bedeutung der Wochen erklärt (das hätte ich mir in der anderen Klinik auch liebevoller gewünscht). Ich bekam Lungenreife und wurde an die Tokolyse gehangen. Die letzten 10 Tage verbrachte ich dann schon im Geburtensaal.

Eure Zwillinge sind in der 26. SSW zur Welt gekommen? 

Ja.

Warst du vorher schon im Krankenhaus?

Ja, etwa 4 Wochen mit strenger Bettruhe. Die letzten 3 Tage konnte ich weder essen noch schlafen. Alle 10 Minuten Wehen. Am Abend der Geburt bekam ich Presswehen. Der Muttermund war schon einige Tage offen. Ich bekam Vollnarkose und einen Notkaiserschnitt. Körperlich war ich zu nichts mehr in der Lage. Beim intubieren erlitt ich einen spastischen Schock und wollte nicht mehr atmen, nach dem der Tubus dann doch drin war, ging alles gut. 

War die Frühgeburt abzusehen bzw. war es Dir geläufig, dass Zwillinge häufig zu früh auf die Welt kommen?

Ja, ich wusste, dass ich nicht bis in die vierzigste kommen würde, aber ich ging so von 4 Wochen eher aus und nicht von dem was kam. Hätte jemand unser Feto Fetales Transfussions Syndrom erkannt, hätte ich es mir vielleicht eher denken können. Ich hoffte stets das Beste.

Wann konntet Ihr Eure Zwillinge das erste Mal sehen? 

Nach etwa 13 Stunden. 

Was hast Du gefühlt, als Du die beiden das erste Mal gesehen hast?

Es war unwirklich, mir war übel und ich fühlte mich hilflos. 

Es kam in den ersten Tagen zu Komplikationen bei den beiden, welche genau waren das? 

Beide Kinder erlitten während der ersten Lebenstage Hirnblutungen. Nelly 2‘ten Grades und Leonie beidseits 3‘ten Grades. Dazu kam bei Leonie noch ein Darmbruch, ein Herzfehler (beide Kinder haben heute noch kleinere Löcher im Herzen), ein Wasserkopf, Netzhautablösungen.

Dann natürlich auch die „kleineren“ Begleiterscheinungen wie Frühchen Gelbsucht. 6 Op‘s in 13 Wochen.

Nach 5. Monaten konntet Ihr das KH verlassen, wie lief Euer Familienleben ab, nachdem die Zwillinge daheim waren? 

Wir waren gerade erst in unsere neue große Wohnung umgezogen. Mein Lebensgefährte hatte sich um alles gekümmert, während ich bei den Mäusen in der Klinik war. Es war erstmal alles neu und ziemlich stressig. Viele Termine standen an. Beide Kinder hatten noch Magensonden, Überwachungsgeräte und Nelly sogar Sauerstoff, Milch pumpte ich weiter ab, der Tag hatte zu wenige Stunden 😀 

Was waren die schlimmsten Situationen in den vergangenen Jahren für Dich? 

Das ganze erste halbe Jahr. Es war alles wie im schlechten Film. Und weiterhin hat man vor jeder Narkose und Operation Angst. Auch das akzeptieren der neuen Situation hat seine Zeit gebraucht. Alle Wünsche und Pläne für die Zukunft waren plötzlich dahin. Das musste man erstmal verkraften.

Dann nach einer Woche etwa, in der wir zuhause waren, zogen die Mädels und ich wieder aus und ich musste mich um ein neues Heim für uns kümmern. Plötzlich stand ich allein mit Allem da. Es geschah alles wie in Trance und ich erinnere mich nur noch an Bruchstücke. Alles was passiert war, dann noch die Trennung… es war außerhalb dessen was ich fassen konnte.

Glaubst Du an die innerliche Verbundenheit von Zwillingen, falls ja, wie macht sich diese bei Euch bemerkbar?

Ja, definitiv. Die beiden suchen sich immer wieder. Leonie reagiert unglaublich toll auf ihre Schwester. Als Leonie und ich einmal im Krankenhaus waren, sie hatte eine Op an der linken Hüfte, war Nelly bei ihrer Oma und abends am Telefon sagte sie mir Nellys linke Seite täte ihr weh. Sie wusste ja gar nicht was bei Leonie operiert wird aber fühlte mit. Nelly kommuniziert ohne Worte mit ihrer Schwester. Es ist wundervoll.

Wie schaffst Du Deinen Alltag, die Pflege Deiner kranken Tochter und den Spagat, dass die Zwillingsschwester nicht zu kurz kommt? 

Ein verlässliches und gutes Netzwerk ist unverzichtbar. Ich habe zum Glück eine tolle Familie und super Freunde. Wir werden von einem ambulanten Hospizdienst betreut und fahren auch regelmäßig in ein Kinderhospiz zur Entlastung. Ich geh zum Beispiel einmal die Woche mit Nelly zum Tanzen, in der Zeit ist Leonie mit jemanden aus unserem Netz, spazieren. Wir nutzen und genießen jeden Moment. Ich denke ich/wir bekomme/n es ganz gut hin. 

Hast du Tipps zur Bewältigung dieser enormen psychischen Belastung für andere Eltern? 

Ein Ventil schaffen. Strategien für sich selbst entwickeln, ich mache viel über Akzeptanz. Ich frage mich nicht, wieso ich oder wieso mein Kind, was wäre wenn etc. Ich akzeptiere es. Das hilft auch, wenn man sich über jemanden oder etwas ärgert. Manche sind so und was ich nicht ändern kann, akzeptiere ich. Und auf was ich Einfluss habe, ändere ich so, dass es für mich passt. Das war allerdings auch ein langer Prozess bis ich das konnte und es heißt keineswegs, dass ich mir alles gefallen lasse. Aber wir haben alle nur dieses eine Leben und kommen eh nicht lebend raus. Also warum Energie und Zeit verschwenden. 

Was hilft Dir am besten?

Freunde, Familie, Gespräche. Zudem schreibe ich gern. Geh mit den Kindern spazieren im Wald, sammle Pilze und Früchte oder koche Marmelade. Mal ein heißes Bad. Es sind die kleinen Freuden, die mich oben halten. 

Was kannst du Mamas von Frühchen raten? 

Kuscheln, kuscheln, kuscheln. 😀 diese kleinen Geschöpfe brauchen viel Liebe, Geborgenheit und Geduld. Entspannt euch, auch sie werden groß, auch wenn sie vielleicht manches nicht gleich so können oder länger brauchen wie andere. Lasst euch nicht rein quatschen oder verunsichern. Es sind kleine Wunder! 

Was würdest du dir wünschen, dass Menschen im Umgang mit Frühchen-Eltern besser machen? 

Kann ich gar nicht sagen, ich habe keine komischen Erfahrungen gemacht. Vielleicht hab ich sie auch einfach ignoriert. Wobei, mehr Mini-Kleidung im Handel! 😀

Wie geht es den beiden jetzt?

Den Umständen entsprechend gut. Wenn man Nelly sieht, glaubt man nicht dass sie solche Komplikationen hatte. Auch Leonie ist ein sehr fröhliches kleines Mädchen, sie nimmt uns und alles um sich wahr. Wir machen stets das Beste aus Allem und genießen unsere gemeinsame Zeit, da wir nicht wissen, wie viel Zeit uns noch bleibt, da dazu keiner eine Aussage treffen kann. 

Vielen Dank für Deine Zeit und Deine Antworten. Ich wünsch Euch nur das allerbeste – liebe Grüße von Zwickau nach Bad Brambach 🙂

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Über mich

Agnes

Zwillingsmutter (Jungs) + 1 (Tochter), Musik-, Indien- und Lyrikfan. Arbeitsmässig habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und arbeite als Head of Online-Marketing für einen Finanzdienstleister. Falls Du Fragen zum Marketing / SEO für deine Webseite hast, kannst Du mich gerne einfach anschreiben.