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Interview: #TeachOut – für mehr queere Sichtbarkeit im Bildungsbereich

geschrieben von Agnes

Heute mal wieder ein neues Interview für Euch – diesmal mit Gun, einer Lehrerin über Ihr Projekt @teach_out_sichtbarkeit (Queere Pädagog*innen treten für mehr Sichtbarkeit ein)

Liebe Gun, magst Du Dich kurz vorstellen? Woher kommst Du, wer gehört zu Dir, was machst Du so?

Hallo! Ich heiße Gun, bin 31 Jahre alt und lebe mit meiner Partnerin zusammen in Braunschweig. Ich bin Lehrerin an einer Gesamtschule und unterrichte hauptsächlich die Fächer Französisch und Religion. In meiner Freizeit spiele ich Fußball und Theater. Außerdem engagiere ich mich ehrenamtlich für die queere Community.

Gemeinsam mit anderen hast Du die Initative @teach_out_sichtbarkeit ins Leben gerufen. Wie kam es dazu und welche konkreten Ziele verfolgt Ihr?

Seit September 2020 bin ich als @mme.egalite auf Instagram und Facebook unterwegs und berichte über alles rund um das Thema Schule und queere Vielfalt. Im Februar wurde ich von einer Followerin auf einen Post aufmerksam gemacht, in dem ein Kollege zu dem Hochzeitsbild von sich und seinem Mann schrieb, dass er sich wünschen würde, dass es mehr queere Sichtbarkeit im Bildungsbereich geben würde. In Anlehnung an den #ActOut nutzte er für seinen Aufruf den #TeachOut. Ich war begeistert von dieser Idee und schloss mich seinem Aufruf an. Ich teilte ebenfalls ein Bild von mir und schrieb Personen, Vereine und Podcasts aus der Community an und bat sie um ihre Mithilfe. Schnell beteiligten sich immer mehr Personen und folgten dem Aufruf. Kurze Zeit später schloss ich mich mit drei Personen zusammen – wir hatten die Idee #TeachOut zu einem Netzwerk von queeren Menschen aus dem Bildungsbereich zu machen. Wir organisierten ein erstes offenes Treffen, an dem ca. 30 Personen teilnahmen. Seit Anfang März arbeiten wir so als offene Gruppe gemeinsam an verschiedenen Themen, organisieren Medienauftritte und vernetzen uns weiter. Auf unseren Social Media Kanälen und unserer Homepage veröffentlichen wir weiterhin regelmäßig neue Beiträge zum #TeachOut.

Wie verlief eigentlich Dein eigenes Coming-Out?

Ich habe mich erst relativ spät, mit Mitte 20 geoutet. Zuerst habe ich mich meinen Freund*innen anvertraut und dann erst nach einiger Zeit meinen Eltern. Von meinen Eltern wird meine sexuelle Orientierung mehr oder weniger ignoriert, d.h. sie kommt nicht vor, wenn wir uns unterhalten. Das ist nicht immer einfach. Aber ich denke, dass sie vielleicht einfach noch etwas Zeit brauchen. Auch ich habe mich lange Zeit damit auseinandersetzen müssen bevor ich mich selbst als frauenliebende Frau angenommen habe. Es ist immer ein Prozess und der verläuft bei den einen sehr schnell und dauert bei den anderen eben länger.

An meinem Arbeitsplatz hingegen hatte ich bisher überhaupt keine Schwierigkeiten – ob im Kollegium oder in den Klassen und Kursen, die ich unterrichte. In letzter Zeit habe ich im Gegenteil, sogar sehr viel Unterstützung erlebt. Bei einem Interview, das ich für ze.tt gegeben habe, bat mich meine Schulleitung explizit darum unseren Schulnamen zu nennen, um noch deutlicher ein Zeichen für Akzeptanz von Vielfalt zu setzen. 

Was bedeutet für Dich Sichtbarkeit?

Sichtbarkeit bedeutet für mich, dass ich mich offen zeige als die Person, die ich bin: Egal, ob in meinem privaten Umfeld oder in der Schule! Ich möchte sichtbar und ansprechbar sein für andere Kolleg*innen und für meine Schüler*innen, da ich weiß, dass es noch viele offene Fragen, viele Vorurteile und auch viele Selbstzweifel auf der Suche nach der eigenen Identität gibt. Es braucht Menschen, die einen selbstverständlichen Umgang vorleben, Fragen beantworten, ein offenes Ohr haben und Vorurteile abbauen. Sichtbarkeit ist mir persönlich sehr wichtig, da sie uns die Chance gibt für andere (noch nicht sichtbare) Menschen da zu sein und für ihre Rechte einzustehen. Sichtbarkeit ist immer auch ein Privileg!

Warum ist Sichtbarkeit von queeren Erzieher:innen und Lehrkräften so wichtig?

5-10% der Weltbevölkerung sind nicht cis-hetero. Dass bedeutet somit, dass statistisch gesehen in jeder Klasse von 30 Kindern ein bis drei Kinder queer sein könnten. Unsere Gesellschaft und somit auch unsere Bildungseinrichtungen sind aktuell aber noch sehr heteronormativ geprägt. Alle Personen, die nicht cis-hetero sind, kommen somit nicht oder nur selten vor. Durch diese Unsichtbarkeit entsteht großes Unwissen und Unsicherheiten in Bezug auf sexuelle und geschlechtliche Vielfalt – auf allen Seiten. Schule ist zudem häufig ein queerfeindlicher Ort. Vielfalt wird also nicht nur nicht thematisiert, sondern es findet aktiv Diskriminierung statt (Beleidigungen, Bedrohungen, körperliche Gewalt).

Die meisten Kinder und Jugendlichen werden sich zwischen 11 und 16 Jahren ihrer sexuellen Orientierung bewusst. Sie sind demnach der Unsichtbarkeit und Diskriminierung von nicht cis-hetero Identitäten in der Schule ausgesetzt, einem Umfeld, dem sie sich nicht entziehen können. Es ist somit die logische Folge, dass viele queere Kinder und Jugendliche in dem Alter ihrer sexuellen Bewusstwerdungen Ängste und Sorgen haben, sich selbst verleugnen und über ihre sexuelle Orientierung verdrängen oder verschweigen. Durch die Sichtbarkeit queerer Personen in unseren Bildungseinrichtungen können wir mit dem aufgezeigten Bild brechen und somit einerseits erreichen, dass queere Kinder und Jugendliche Vorbilder haben, die sie unterstützen können. Dies ist besonders deswegen wichtig, weil queere Kinder und Jugendliche auch deutlich häufiger an Depressionen, Essstörungen, selbstverletzendem Verhalten und Suizidalität erkranken. Andererseits wird so allen beteiligten Menschen bewusst, dass Akzeptanz eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.

Was denkst Du wieso sich immer noch viele Lehrer*innen schwer mit einem Coming-Out in der Schule tun?

Ich finde, dass ein Coming-Out eine sehr persönliche Sache ist. Es gibt zahlreiche Gründe, warum es Menschen nicht möglich erscheint oder ist, sich nach außen hin zu zeigen. Insbesondere an einem Arbeitsplatz wie der Schule, also einem Ort, an dem wir täglich mit sehr vielen Menschen zusammenkommen, deren Einstellung und Haltung sehr unterschiedlich seien können. Ein Coming-Out ist immer auch ein Privileg. Dieses Privileg wollen wir von #TeachOut dazu nutzen, um für uns und andere einzustehen.

Wichtig ist mir dennoch zu betonen, dass jede Person (insbesondere im Bildungsbereich) unabhängig davon, ob er*sie queer (geoutet oder ungeoutet) oder nicht-queer ist, sich für die Akzeptanz von sexueller, romantischer und geschlechtlicher Vielfalt einbringen kann, in dem er*sie diese abbildet – sprachlich oder auch in Materialien (Büchern, Filmen, …).

Kannst Du Lehrkräften oder auch Schüler*innen Tipps geben, wie sie queere Schüler*innen unterstützen können?

Ich denke, dass es ein ganz wichtiger Schritt ist, dass sexuelle und geschlechtliche Vielfalt thematisiert wird und über Unterrichtsmaterialien sichtbar gemacht wird für alle, sodass sie zu einer Selbstverständlichkeit wird. Je offener und sichtbarer wir über diesen Themenbereich sprechen, desto mehr Verständnis, Empathie und Akzeptanz werden entstehen und dass hilft allen queeren und nicht-queeren Menschen in Schulen. Gezielt für queere Schüler*innen ist es darüber hinaus wichtig, dass gegen jegliche Form von Diskriminierung vehement vorgegangen wird. Sei es eine vermeintlich lustig gemeinte Beschimpfung als „schwul“ oder eine andere Form von Queerfeindlichkeit. Es sollte klar und deutlich sein, dass Lehrkräfte dies nicht tolerieren. Toll ist es, wenn es zusätzlich noch Angebote wie zum Beispiel eine Informationsangebote zu lokalen queeren Einrichtungen gibt oder sogar eine AG, die sich mit Diskriminierungsformen auseinandersetzt. Und am wichtigsten ist es, dass man sich offen und ansprechbar zeigt, sodass queere Schüler*innen mit eventuellen Sorgen und Nöten zu einem kommen können.

Gibt es noch etwas was Du uns bzw. den Lesern noch auf den Weg geben magst?

Vielfalt betrifft uns alle und wir alle sind Teil von ihr. Jede Person muss ihren Beitrag leisten, um  Respekt und Akzeptanz gesellschaftlich umzusetzen. Auf dem Weg zu diesem Ziel ist kein Mensch fehlerfrei, deshalb ist es umso wichtiger, dass jede Person auch immer wieder ihr eigenes Handeln hinterfragt und überprüft. Vielfalt lernen bedeutet von- und miteinander zu lernen.

Wie kann man Dich bzw. Euch am besten erreichen?

Mich persönlich erreicht ihr am besten über meinen Instagram Account @mme.egalite und über den Account von @teach_out_sichtbarkeit Für diejenigen, die nicht in den sozialen Medien vertreten sind, bin ich auch über unsere Homepage www.teachout.de bzw. unsere Mailadresse erreichbar teachout@outlook.de

Liebe Gun, vielen lieben Dank für das tolle Interview, für das teilhaben an Deinen Gedanken und die Eröffnung neuer eigener Sichtweisen.

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Über mich

Agnes

Zwillingsmutter (Jungs) + 1 (Tochter), Musik-, Indien- und Lyrikfan. Arbeitsmässig habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und arbeite als Head of Online-Marketing für einen Finanzdienstleister. Falls Du Fragen zum Marketing / SEO für deine Webseite hast, kannst Du mich gerne einfach anschreiben.

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