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Interview mit Frühchenmama Steffi über Ihre Zwillinge

geschrieben von Agnes

Hallo liebe Steffi, danke dass Du dich zu diesem Interview bereit erklärt hast. Das freut mich sehr.

Vielleicht magst Du erst mal etwas über Euch erzählen? Woher kommt Ihr und wer gehört alles zu Euch?

Wir sind Alex und Steffi und haben kommen aus einem kleinen Dorf in Oberbayern. Wir haben 3 Kinder, 2 an der Hand und Eines im Himmel. Rafael ist 5 und hat seine Zwillingsschwester Lea im Alter von 2 ¾ Jahren verloren. Kurze Zeit später wurde uns dann unser Seelenbaby Manuel (1) geschickt.

Wie hast Du von Deiner Zwillingsschwangerschaft erfahren und was waren Deine ersten Gedanken dabei?

Ich war schon relativ früh beim Arzt, weil es mir mit Beginn der Schwangerschaft körperlich gar nicht gut ging. Erst dachte man ich würde ein Baby bekommen und 2 Wochen später war da aber ein weiteres. Irgendwie waren wir total aus dem Häuschen – aufgeregt, total glücklich, weil wir ja schon so lange Kinder wollten, dann die Nachricht, dass es Zwillinge werden. Für uns war das einfach nur Wow und überwältigend, auch wenn ich damals schon gespürt habe, dass da etwas nicht passt.

Wie hat Dein Umfeld auf die Schwangerschaft reagiert?

Mein Umfeld war durchwegs positiv gestimmt. Jeder freute sich mit uns. Allerdings war es schon so, dass man nicht unbedingt verstanden hat, warum ich mich so schone, schließlich wären Zwillinge ja gar nicht so selten und riskant. Dazu aber gleich mehr.

Eure Zwillinge kamen ja in der 28. Woche zur Welt, gab es keinen Grund oder war es vorauszusehen, dass es zu einer solchen extrem Frühgeburt kommt?

Ja – Lea und Rafael kamen 12 Wochen zu früh auf die Welt. Es war irgendwie absehbar aber dennoch hat uns das mit voller Wucht getroffen und unser Leben komplett verändert. Ganz früh schon sagte man uns immer, mit dem „kleinen Zwilling“ würde was nicht stimmen. Er würde zu langsam wachsen und man riet uns zu weiterer Diagnostik, weil ich auch schon ganz früh immer wieder mit Blutungen zu kämpfen hatte. Irgendwann hieß es, beide Kinder wären im Ultraschall auffällig und man schaute noch genauer.

Eine unauffällige Fruchtwasseruntersuchung und ein anderer Arzt ließen uns dann aber aufatmen. Lea wuchs genauso schnell wie Rafael, sie war halt nur kleiner. Schon bald begannen bei mir Frühwehen, der Gebärmutterhals wurde immer kürzer und die meiste Zeit lag ich im Krankenhaus. Entlassen wurde ich dann nach der Lungenreife in der 25. SSW mit der Auflage strenge Bettruhe zu halten und 2mal in der Woche war ich beim Arzt zur Kontrolle. Oft wurde ich wieder mit Verdacht auf Wehen und zu kurzem Gebärmutterhals ins Krankenhaus geschickt und dann ging es aber wieder heim ins Bett. Geblieben bin ich dann an einem Freitag, da war ich 28+4, obwohl man mich auch da wieder heimschicken wollte.

Ich bemerkte relativ schnell, dass meine Kinder aus dem Bauch wollen, leider wurden nur meine Wehen nie auf einem CTG aufgezeichnet. Ich hatte starke Wehen und in dieser Nacht ist mir dann auch die Fruchtblase geplatzt. Ich kam in den Kreißsaal, mein Mann kam und endlich bekam ich Wehenhemmer. Man schallte und überwachte das CTG, ich wurde ein paar Mal aufgeklärt über die Risiken der Frühgeburt über den Kaiserschnitt und man war aber zuversichtlich alles schon noch hinauszögern zu können. Es gab Frühstück im Kreißsaal und ich habe versucht mich zu entspannen. Plötzlich ging die Tür auf, eine ganze Mannschaft an Ärzten, Hebammen und Schwestern kamen herein und da war klar, dass es nicht ins Krankenzimmer geht sondern in den OP. Da lag ich dann wirklich hilflos und überfordert auf meiner Liege, alles war hektisch, es war keine schöne Geburt. Ich wusste dass Lea um 10.37 Uhr und Rafael um 10.38 Uhr geboren wurden aber mehr nicht.

So wurde ich zur Frühchen-Mama. Lange konnte man uns gar nichts zum Zustand unserer Kinder sagen, mein Mann bekam zwei Bilder in die Hand und so warteten wir, bis endlich um 18 Uhr der Anruf kam, dass beide Kinder am Leben sind und wir kurz ins Perinatal Zentrum zu den  Kindern dürfen.

Wann konntet Ihr Eure Zwillinge das erste Mal sehen?

Gesehen habe ich meine Kinder das erste Mal gegen 19 Uhr. Eigentlich habe ich nur Lea’s Füßchen gesehen. Ich saß in meinem Rollstuhl und konnte noch nicht stehen. Bei Rafael war es sehr hektisch, denn er wollte einfach nicht atmen und bei Lea sah ich eben die Füßchen.

Am nächsten Tag konnte ich schon kurz stehen, da sah ich dann wie klein meine Kinder wirklich waren. Auf dem Foto hat das getäuscht, das war ja eine Nahaufnahme vom Gesicht. Rafael hatte 1220 Gramm und Lea 960 Gramm. Die Kinder hatten sich zwischenzeitlich auch beide stabilisiert. Für den damaligen Moment halt.

Was hast Du gefühlt, als Du die beiden das erste Mal gesehen hast?

Was ich damals gefühlt habe, kann ich nur schwer in Worte fassen. Die ganze Schwangerschaft war ja schon sehr durch Angst belastet. Ich hätte mich so gerne gefreut aber ich hatte einfach nur Angst. So sehr habe ich mir diese Kinder gewünscht und so sehr hab ich sie schon im Bauch geliebt. Nur wenn man da eine Hand voll Kind im Inkubator liegen sieht, verkabelt, mit vielen Zugängen und die vielen Medikamente daneben … das war einfach nur furchtbar. Man ist so hilflos. Jede Mama hat das Bedürfnis sein Kind zu halten, zu wiegen, zu drücken. Und wir konnten halt nur da stehen, warten und hoffen. Man sagte uns ganz klar, dass sie keine Prognosen abgeben.

Und wann habt Ihr erfahren, dass es um Lea nicht gut steht und sie um Ihr Leben kämpfen muss? Wie realisiert man diese schreckliche Nachricht und wie geht man damit um? Kannst du deine Gefühle in der ersten Zeit danach beschreiben?

Das kann ich so direkt nicht beantworten, denn am 4. Tag morgens hörten wir das erste aber nicht das letzte Mal, dass Lea sterben wird. Lea hatte ein Hirnblutung und viele Probleme, die Extrem-Frühchen haben. Die Organe drohten zu versagen, die Ärzte sagten vielleicht noch ein paar Stunden, max. Tage. Du fühlst Dich, als würde jemand in Deinen Brustkorb fassen und an Deinem Herz ziehen, immer und immer. Und dieser Schmerz wird nicht besser. Außerdem standen wir beide glaub ich unter Schock, wir nahmen vieles nur noch nebenbei wahr. Man baut sich, denke ich, eine Schutzhülle auf. Man ist nicht mehr in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Das Einzige was wir wussten, war, dass wir nicht wollten, dass Lea leiden muss. Das haben wir auch so kommuniziert.

Wir saßen dann da Stunden und Tage und nichts änderte sich. Lea ging es zu gut zum Sterben und zu schlecht zum Leben. Lea war aber eine Kämpferin und hat sich zurück gekämpft. Das war wie ein kleines Wunder.

Die Hirnblutung machte allerdings Probleme, so dass Lea operiert werden musste. Nicht nur einmal. Von da an lag Lea 14mal im OP. Alle 1,5 Wochen im Schnitt. Das lief immer gleich ab. Sie erholte sich von der OP, man dachte es geht bergauf und dann baute sie noch mehr ab und musste wieder in den OP. Und Du stehst da, unterschreibst eine Einwilligung nach der anderen, weil Du keine andere Chance hast. Du willst nicht, dass Dein Kind leidet. Die Zeit zwischen den OP’s war geprägt von vielem Erbrechen und sehr, sehr vielen Krampfanfällen, so dass Lea meist medikamentös ruhig gestellt war. Für uns war das furchtbar. Selbst die Krankenschwestern standen auch mal weinend in unserem Zimmer. Ich hätte meinem Kind so vieles gewünscht aber nicht dieses Leben. Diese Schmerzen, dieses Leiden.

Im Mai, also 3 Monate nach der Geburt bekamen wir das erste Mal ein Gespräch mit einer Ärztin, die uns über den tatsächlichen Zustand aufgeklärt hat. Alle anderen fühlten sich dafür nicht zuständig bzw. umschrieben immer alles sehr nett. Ich habe jeden Tag 100 Fragen gestellt aber keiner war ehrlich oder direkt. Diese Ärztin sagte uns, dass Lea ihren 1. Geburtstag wohl nicht erleben wird. Und das nach den vielen OP’s und diesem Kämpfen. Wir waren nicht blind und haben natürlich gespannt, dass Lea Behinderungen davon tragen wird. Aber Sterben – nach diesem Gespräch standen wir beide auf, verabschiedeten uns von unseren Kindern und fuhren nach Hause. Eigentlich hatte ich ein Elternzimmer aber ich hatte das Bedürfnis mit meinem Mann das Krankenhaus verlassen zu müssen um nicht durchzudrehen. Wir haben geweint und uns angeschwiegen. Was will man auch sagen, wenn jemand zu einem sagt, dein Kind wird kein Jahr alt werden.

Lea’s Kampf ging aber weiter. Entlassen wurden wir endgültig Mitte Oktober 2013. Geboren wurden meine Zwillinge Anfang Februar 2013. Diese ersten wichtigen Monate verbrachten wir als Familie auf einer Intensivstation.

Wie lief Euer Familienleben ab, nachdem die Zwillinge aus dem Krankenhaus entlassen wurden?

Unser Familienleben daheim war gewiss anders, aber nicht weniger schön. Anfangs hatten wir 24h am Tag einen Pflegedienst. Als Lea entlassen wurde, war sie blind, sauerstoffpflichtig, wurde über Sonde ernährt und hatte jeden Tag zig epileptische Anfälle. Natürlich auch nachts.

Wir hatten Glück, denn wir hatten einen tollen Pflegedienst, der einfach mit ins Familienleben integriert wurde. Aber Privatsphäre hat man halt keine mehr.
Wir sagten uns, auch wenn Lea nicht alt werden darf, hat sie es verdient, die Zeit, die sie nun bei uns verbringen darf, so schön wie möglich zu erleben. Wir hatten täglich Arzttermine und Therapien. Die Therapeuten gingen zu Hause ein und aus wie wir. Der 24h Tag war genauestens getaktet, da wir viele Medikamente geben mussten und oft halbstündlich inhalieren mussten. Das alles haben wir aber versucht auszublenden und wir haben versucht so zu leben, als wären wir eben doch eine normale Familie.

Den Pflegedienst konnten wir gut reduzieren und wir haben viel unternommen. So war Lea mit uns auch schon in Italien oder auf den Bergen. Richtig Urlaub konnten wir als Familie dann im Kinderhospiz machen, denn da wurde mir einfach mal für ein paar Tage die Pflege abgenommen und ich konnte einfach auch nur mal für Rafael da sein, er musste nämlich schon viel zurück stecken und einfach „mitlaufen“. Wir haben uns es also wirklich gut gehen lassen, bis Lea’s 2. Geburtstag kam und sich ihr Gesundheitszustand stark veränderte. Von da an hatten wir wieder öfter Pflegedienst im Haus und auch das Kinderpalliativteam war von da an verstärkt da. Für uns war klar, nach all dem war im Krankenhaus passiert ist, wird Lea in keines mehr müssen. Und sollte es ihr sehr schlecht gehen oder sie sich entscheiden zu gehen, stehen wir das zusammen durch – zu Hause und als Familie. Da gibt es ja zum Glück tolle Möglichkeiten der Unterstützung wie das Ambulante Kinderhospiz München und auch eben das Kinderpalliativteam, die wir in Krisen auch mitten in der Nacht erreichen konnten. 

Lea starb 2015 – das schlimmste was Eltern passieren kann. Wie schafft man es, trotzdem weiterzuleben und sich neu zu ordnen? Grad im Bezug auf den Bruder und Euer Seelenbaby?

Lea ist am 22.11.2015 gestorben. In meinen Armen hat sie aufgehört zu atmen. Ich habe mich vorher oft gefragt, wie es sein wird. Gut, dass man das nicht weiß. Selbst heute, 3 Jahre danach, ist es wie am Anfang. Klar wurden wir darauf vorbereitet aber wenn dann dieser Zeitpunkt da ist, dann kann man das nicht in Worte fassen. Ein Teil von mir ist mit Lea gestorben. Und das fühlt man zu jeder Sekunde. Es ist, als hätte mir jemand das Herz rausgerissen. Das sind nicht nur seelische Schmerzen, nein der Körper schmerzt. Anfangs war insbesondere ich in einem Schockzustand. Der Moment als Rafael am Morgen versuchte Lea zu wecken – und sie lag in ihrem Bett und er verstand es einfach nicht. Er machte das Licht an, damit sie endlich reagiert und wir standen daneben. Da musste dann auch der Arzt zu mir kommen. An die Tage danach kann ich mich nur stückchenweise erinnern. Ich denke das ist gut so. Alex hat versucht irgendwie alles zu managen. Die Familie, die Beerdigung, mich. Ich hatte anfangs immer jemanden  bei mir daheim, ich war ja nicht mal in der Lage mich um Rafael zu kümmern.

Es war, als wäre die Zeit stehen geblieben bei mir. Und außen rum haben alle gelebt. Nur ich konnte das nicht mehr. Weinachten stellte uns ein Freund den Weihnachtsbaum auf, er sagte zu mir, Du hast noch ein zweites Kind um das Du Dich kümmern musst. Und er soll Weihnachten feiern dürfen. Relativ schnell kam ich dann zum Glück an einen Trauma-Therapeuten, der schaffte es, mich Stück für Stück aus dem Zustand der Trance wieder ins Leben zu bringen. Ohne ihn – ich glaube, da wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Irgendwann schaffte ich es aus diesem Zustand heraus und bemerkte wie schlecht es Rafael ging. Er war ja total außer Kontrolle, nur hab ich das halt nicht bemerkt. Eine liebe Psychologin meinte, er hätte am meisten unter der ganzen Situation zu leiden. Er hat nicht nur seine Zwillingsschwester verloren, sondern auch einen Teil von mir und von Alex. Mit dieser Aussage hat sie Recht. Ich habe also versucht wieder zu leben und stark zu sein, für Rafael. Er leidet bis heute unter schweren Verlustängsten. Im April ist dann mein Mann zusammengeklappt unter der ganzen Last. Es dauert etwas bis er verstanden hat, warum. Also wurde mein Therapeut auch seiner und auch mein Mann kämpfte sich Stück für Stück zurück. Wir haben Verantwortung Rafael gegenüber.

Im Juni also schon 7 Monate nach Lea’s Tod haben wir es geschafft irgendwie als Familie zu funktionieren. Wir kamen wieder näher an Rafael ran und auch bei uns Eltern klappte es wieder irgendwie. Aber wir bemühten uns auch wirklich jeden einzelnen Tag einfach zu leben und uns nicht unterbekommen zu lassen. Gerade als das wieder einigermaßen geklappt hat, fing es an, dass es mir wieder nicht so gut ging und schnell war klar, dass Lea uns da noch jemanden schicken wollte, der uns auf andere Gedanken bringt. Mein Seelenbaby. Für mich sind Lea und Rafael immer noch meine absoluten Wunschbabys und Manuel mein Seelenbaby. Die Schwangerschaft war erneut sehr anstrengend und belastend aber sie rettete mich oder uns durch das 1. Trauerjahr. Im März 2017 wurde unser Seelenbaby gesund vor allem reif geboren. Nur 4 Tage Krankenhaus – total überwältigte Eltern und ein glücklicher Rafael. Anfangs fragte er oft, warum Lea nicht wieder gekommen ist aber es ist schwierig immer alles altersentsprechend und verständlich zu verpacken.

Wir waren von Anfang an immer ehrlich. Wir haben nie etwas beschönigt. Rafael wusste, Lea ist krank. Und er weiß, dass sie nicht eingeschlafen ist. Lea ist tot. Egal wie schlimm sich dieses Wort anfühlt. Sie ist tot. Ihre Seele ist im Himmel aber ihr Herz lebt in uns weiter.

Auch Manuel weiß wer Lea ist. Nicht so wie Rafael, denn Rafael und Lea waren eins. Lea ist auf unseren Bildern, wir schweigen sie nicht tot. Wir reden über sie, erzählen viel. Es ist nicht jeder Tag gleich. Es gibt gute Tage und schlechte Tage. Wir stressen uns da nicht mehr. Das steht uns allen zu. Wir haben unser Kind verloren. Wir trauern. Trauern tun wir immer – nur schwankt die Trauer. Es ist wie ein ständiges Auf und Ab. Und in der Trauer ist alles erlaubt.

Was würdest du dir wünschen, dass Menschen im Umgang mit Sternenkinder-Eltern besser machen? 

Ganz klar – das Kind nicht tot schweigen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen Angst haben, etwas Falsches zu sagen. Aber mal ehrlich, was kann in so einer Situation schon falsch sein? Genauso schlimm finde ich es, wenn das Thema einfach umgangen wird. Ich glaube diese Erfahrung haben viele Eltern gemacht die ein Kind verloren haben. Noch in 100 Jahren wird Lea meine Tochter sein. Und noch in 100 Jahren möchte ich ihren Namen hören. Vermutlich tut es dann noch genauso weh aber sie ist mein Kind und ich liebe sie so sehr, also möchte ich nicht, dass sie tot geschwiegen wird.

Man sollte mit diesem Thema viel offener umgehen. Natürlich ist das schwierig aber ich habe den Eindruck als wäre der Tod eines Kindes immer noch ein Tabuthema. Weil einfach keiner drüber spricht oder weil sich keiner drüber sprechen traut.

Doch genau das ist es, was wir Eltern brauchen – wir möchten darüber reden. Und wenn uns gerade mal nicht danach ist, dann sagen wir das bestimmt. Ich finde es schön wenn jemand ehrlich ist und sagt: „Ich weiß einfach nicht was ich sagen, es überfordert mich irgendwie.“ Das ist besser wie einem das Gefühl zu geben, dass die Trauer unangebracht ist oder man endlich mal darüber hinweg sein sollte.

Einfach offen damit umgehen, damit ist glaube ich jedem geholfen.

Hast du Tipps zur Bewältigung dieser enormen psychischen Belastung für andere Eltern? Was hilft Dir am besten?

Hilfe annehmen. Auch professionelle Hilfe. Es gibt so viele Stellen, die da unterstützend zur Seite stehen aber man muss sich drauf einlassen. Man kann das nicht alleine schaffen. Wie schon erwähnt hatten wir auch diese Hilfe, wir wurden zum einen davor und danach begleitet über den Hospizverein und wir bekamen einen Therapeuten mit an die Hand. Wir haben uns unterschiedliche Strategien erarbeitet um aus Flashbacks zu kommen um den Schmerz auszuhalten, wenn es gerade sehr schlimm ist. Mir haben anfangs halt auch Listen geholfen, die ich abarbeiten musste. Das waren dann Sachen wie Einkaufen oder Spülmaschine ausräumen. Ganz einfache Sachen – aber in einem Schockzustand kann man nicht man das.

Und halt auch wirklich sagen, hey mir geht es gerade nicht so gut, bitte hilf mir. Ich habe das auch schon um 23 Uhr gemacht und ja, es war jemand da für mich, der mich durch diese doofe Stunde gebracht hat. Natürlich mach ich das nicht jeden Monat aber genau in dieser Nacht habe ich eine Freundin gebraucht.

Ich habe mir zudem meine eigene Stressbewältigung geschaffen – ich schreibe. Mir hilft es ungemein zu schreiben, wie es mir geht. Ich habe einen Facebook-Blog: Lea – die tapferste Kämpferin der Welt.

Wie lässt sich der Verlust von Lea mit dem Familienleben vereinbaren, wie geht der Zwillingsbruder damit um? Wie bekommt man den Schritt hin, einen Zwilling an der Hand zu haben und einem im Herzen? 

Ganz gut. Ich möchte nicht sagen, dass Lea mit uns weiterlebt, denn das tut sie nicht. Aber ich bin mir sicher, sie ist an unserer Seite. Und so leben wir auch in der Familie.

Für mich ist es oft nicht ganz so einfach, weil ich mir oft denke, eigentlich sollte Lea dabei sein, eigentlich wäre es auch Lea’s Geburstag, eigentlich würde sie jetzt auch ein Kleid bekommen, eigentlich wäre es auch ihre Feier, eigentlich, eigentlich, eigentlich. Aber wir müssen uns halt damit arrangieren. Die Kinder sind meine große Motivation, weil ich nicht möchte, dass sie in Trauer groß werden, sondern dass sie eine glückliche Kindheit haben. Und genau das versuchen wir zu leben. Das Leben ist viel zu kostbar um es zu vergeuden.

Rafael leidet manchmal schon sehr unter Lea’s Tod. Man sagte uns mal, dass sich Kinder alles was sich vor dem 3. Lebensjahr abspielt, vergessen. Das kann ich nicht bestätigen. Rafael erinnert sich an alles was er gesehen hat und er erinnert sich sehr an Lea. Er vermisst sie. Es ist gerade ein schwieriges Alter. Er ist noch zu jung um es wirklich verstehen zu können aber er hat auch das Alter wo ich ihm schon alles erklären kann. Er beginnt oft plötzlich zu weinen und sagt er vermisst Lea, er will bei Lea sein, dann wäre er nicht mehr alleine. Dann wäre Lea nicht mehr alleine. Aber erzählt auch gerne von ihr. Wenn er Besuch bekommt und jemand fragt, wer ist denn das auf diesem Bild antwortet er stolz, dass ist Lea, seine Zwillingsschwester. Und er erklärt auch warum sie nicht mehr bei uns ist.

Rafael wächst ohne seine Schwester auf, aber bleibt ja immer ein Zwilling – glaubst Du an die innerliche Verbundenheit von Zwillingen, auch wenn sie sich eben nicht mehr sehen (können) bzw. nicht mehr zusammen aufwachsen?

Ja ich glaube an das Zwillingsband und zwar aus zweierlei Gründen. Als wir Lea mit nach Hause nehmen konnten war sie ja in einem Zustand, der sich vielleicht mit einem Wachkomapatienten vergleichen lässt. Wirklich reagiert und gequietscht vor Freude hat Lea nur bei einem. Das war Rafael. Natürlich hat sie auf mich und meinen Mann auch reagiert aber das war ganz anders, wie beim Bruder. Und als Lea gestorben ist, waren die Kinder ja 2 ¾ Jahre alt. Rafael hat mir da Sachen von Lea gesagt, die konnte er gar nicht wissen. Er hat oft in den Himmel gewinkt, weil er Lea gesehen hat. Ja ich denke die Beiden hatten eine ganz innige Bindung. Sie fehlt ihm so sehr, so wie ein Stück von mir gestorben ist, ist es wohl auch bei Rafael.

Danke für die Mühe und Deine Zeit – ich wünsche Euch nur das allerbeste und immer Menschen um Euch, die Euch in den traurigen Momenten auffangen und halten.

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Über mich

Agnes

Zwillingsmutter (Jungs) + 1 (Tochter), Musik-, Indien- und Lyrikfan. Arbeitsmässig habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht und arbeite als Head of Online-Marketing für einen Finanzdienstleister. Falls Du Fragen zum Marketing / SEO für deine Webseite hast, kannst Du mich gerne einfach anschreiben.

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