Nach langer Zeit endlich mal wieder ein neues Interview für Euch. 🙂
Liebe Sandra, schön, dass Du Dich zu diesem Interview bereit erklärt hast, stell Dich doch einfach mal kurz vor, wer gehört alles zu Dir, woher kommt Ihr?
Ich freue mich, dass du dich für mich und meine Geschichte interessierst, danke…!
Ja, mein Name ist Sandra und ich bin stolze Mama von vier wundervollen Kindern. Zwei davon leben zusammen mit mir und meinem Mann in einem kleinen Städtchen im Landkreis Coburg.
Meine zwei großen Kinder, unsere Zwillinge, leben bereits seit ihrer Geburt vor rund zehn Jahren als Sternenkinder im Himmel. Und dennoch, auf eine ganz besondere Art und Weise auch mitten unter uns…
Zwei Euerer Kinder leben nun schon viele Jahre nicht mehr bei Euch – Eure Zwillinge sind Sternenkinder. Möchtest Du kurz erzählen, wie es dazu kam?
Romy und Lenny waren absolute Wunschkinder. Mehr noch… Sie waren Wunsch-Zwillinge! Mein Mann und ich hatten immer den großen Traum, eines Tages Eltern von Zwillingen zu werden.
Als wir nach dreieinhalb Jahren Kinderwunsch leider noch immer nicht schwanger gewesen sind, begaben wir uns schließlich in die Hände der Medizin. Nach der ersten ICSI wurde ich schwanger! Dieser Moment, in dem der Arzt in der Kinderwunschklinik uns die freudige Nachricht übermittelte, dass ich schwanger sei, war der glücklichste meines bisherigen Lebens!
Offiziell wurde es uns erst weitere zwei Wochen später bestätigt, dass es zwei Babys sind, die da in mir heranwachsen – gefühlt aber waren Marco und ich bereits ab dem Zeitpunkt Eltern von Zwillingen, unseren Wunschzwillingen, als der Arzt diese zwei befruchteten Eizellen in mir eingesetzt hatte. Unser Glück war vollkommen – endlich sollte sich unser Traum verwirklichen!
Doch leider kam schließlich alles anders… Romy und Lenny kamen als ganz kleine Frühchen auf die Welt. In der 23. Schwangerschaftswoche. Unsere Tochter verstarb nach nur eineinhalb Stunden Erdenleben, unser Sohn nach dreizehn Stunden. Ich habe meine beiden Kinder nicht lebend gesehen, da ich nach dem Notkaiserschnitt selbst auf der Intensivstation gelegen war…
Kannst du deine bzw. Eure Gefühle in der ersten Zeit danach beschreiben?
Meine Welt hat sich an diesem Tag aufgehört zu drehen. All meine Glaubenssätze, meine Weltanschauung, meine innere Überzeugung, nach der ich bisher gelebt habe, und die mir immer vermittelt hatte, dass alles in unserem Leben aus einem bestimmten Grund passiert, ist an diesem Tag in tausend Teile zerbrochen. Ich fühlte mich völlig verloren und wusste nicht, wie ich in einem solch unsicheren Leben jemals wieder Fuß fassen könnte. Und am liebsten wäre ich meinen Kindern hinterhergesprungen, um ihnen dadurch wieder nahe zu sein… Ich merkte erst viel später, dass sie mir auch in irdischer Form nicht näher sein könnten, als sie es heute sind…
Wie sind die Menschen in Deinem Umfeld nach dieser Nachricht mit Euch umgegangen?
Die Reaktionen der Menschen aus unserem Umfeld waren ganz unterschiedlich. Unsere Familien und engen Freunde waren geschockt, wussten sie doch, wie sehr Romy und Lenny bereits Teil unseres Lebens waren und wie sehr wir die beiden bereits liebten und erwartet hatten. Sie wollten uns beistehen, aber mein Mann und ich konnten in der ersten Zeit keine anderen Menschen um uns herum ertragen. Unser Schmerz war zu groß. Wir mussten erst einmal alleine sein. Alleine, zu zweit, zu viert… Erst nach und nach konnten wir uns in die Arme unserer Familie und engsten Freunde fallen lassen. Manche Freundschaften überstanden diese schwere Zeit nicht. Manche hingegen wurden enger als je zuvor.
Gab es Sätze/Bemerkungen die Euch, evtl. auch erst später, getroffen haben und mit denen ihr schwer umgehen konntet?
Ja, die gab es. Sätze wie: „Ihr seid doch noch jung, ihr könnt doch noch Kinder kriegen“, oder „Wer weiß, wozu es gut war, bestimmt waren die beiden nicht gesund…“ trafen uns ganz besonders. Sogar die sicher nur gut gemeinte Frage „Wie geht es dir?“ löste häufig Heulkrämpfe und Wutanfälle bei mir aus, denn wie sollte es mir nach dem Tod meiner beiden Kinder schon gehen… Ich war sehr verletzlich und dementsprechend hatten es die Menschen in unserem Umfeld auch nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden, um uns in unserer Trauer zu trösten…
Eure beiden anderen Kinder kamen ja nach den Zwillingen zur Welt. Wie bekommt man es am besten hin, den nachgeborenen Kindern ihre Geschwister am besten nahe zu bringen? Gibt/Gab es spezielle Rituale für Euch?
Unsere beiden Folgekinder sind mit diesem ganz besonderen Bewusstsein groß geworden, dass ihre beiden großen Geschwister zwar nicht sichtbar „da sind“, aber dennoch einen ganz eigenen Platz in unserer Familie haben. Sie sind unsere Begleiter, unsere Engel, unsere himmlischen Kinder, die manchmal auch Schabernack treiben und Bauklötze verstecken, oder die zu Weihnachten, Ostern, Nikolaus und an Geburtstagen Geschenke bekommen.
Andere Geschenke als Erdenkinder vielleicht, aber sie werden trotzdem bedacht und in unseren Kreis miteingeschlossen. Auch von den Omas, Tanten und Cousins… Sie bekommen eben Geschenke in Form von Kerzen, oder bemalten Steinen, oder schönen Figürchen, die wir zusammen auf ihr Gärtchen (ihr Grab) stellen… Lenny bekam auch schon eine kleine Eisenbahn geschenkt oder Romy eine Barbiepuppe, die wir dann auf ein Blumengesteck von einer Floristin binden ließen und ihnen an ihrem Geburtstag zum Gärtchen brachten. Wir lassen Luftballons steigen, backen Geburtstagskuchen für sie, und binden sie in jede Familienfeier mit ein.
So war die gemeinsame Taufe von Melina und Jona gleichzeitig ein Gedenkgottesdienst für unsere Zwillinge… Romy und Lenny sind zwar nicht sichtbar, aber sie waren trotzdem für unsere Familie noch nie „nicht da“. Melina und Jona haben eine ganz besondere Verbindung zu ihren beiden Geschwistern im Himmel. Sie fühlen sie auf eine ganz leichte und kindliche Art und schenken uns dadurch häufig ganz zauberhafte Momente, in denen wir uns einfach ganz sicher sind, dass es da viel mehr gibt zwischen Himmel und Erde, als manche von uns denken….
Die eigenen Kinder zu verlieren ist das schlimmste, was Eltern widerfahren kann und doch schreibst Du auf Deiner Webseite: „Nach und nach verloren sich meine Zweifel und Ängste in einer Vielzahl aus Momenten und Situationen, die mir begreifbar machten, dass das Leben so viel mehr war, als ich es bisher für möglich gehalten hatte! Ich entwickelte im größten Seelenleid eine unvorstellbare Herzensstärke und spürte im Zentrum dieser Liebe, dass es meinen Sternenkindern gut geht und dass die beiden mir noch so vieles vom Himmel aus zu sagen haben …“ – wie geht es Dir, 10 Jahre nach dem Tod Deiner Zwillinge, wie hat es Dich verändert?
Ich kann heute von mir behaupten, dass ich ein erfülltes und glückliches Leben führe. Ich bin im Frieden mit mir und meiner Geschichte. Ich fühle mich vom Leben reich beschenkt. Auch wenn es mich immer noch in manchen Momenten reißt und ich Romy und Lenny so gerne in Fleisch und Blut unter uns hätte. Aber dann erinnere mich daran, dass es nicht ihr Weg, nicht UNSER Weg gewesen wäre, und dass unsere Beziehung eben über zwei verschiedene Welten geht, und vielleicht genau aus diesem Grund heute so tief ist.
Romy und Lenny haben mich in einer Weise verändert, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Sie ließen mich stark werden, und gleichzeitig ganz weich, sie ließen mich wachsen, bis in den Himmel, sie ließen mich dankbar werden, all den Wundern, die ich täglich zusammen mit meinen beiden Erdenkindern erlebe, ja sie ließen mich an Wunder glauben, und diesen Glauben, dieses Glück, diese LIEBE kann mir keiner jemals mehr nehmen. Und heute gebe ich diese Herzensstärke an andere Menschen weiter…
Was würdest du dir wünschen, dass Menschen im Umgang mit Sternenkinder-Eltern besser machen?
Ich würde mir wünschen, dass es mehr Menschen gibt, die Sterneneltern in ihrem Glauben an dieses andere Leben ihrer Kinder unterstützen. Dass sie es nicht als „esoterischen“ Kram abstempeln, wenn Eltern in Liebe von dieser ganz besonderen Verbindung sprechen, oder wenn sie gerührt von einem „Zeichen“ sprechen, dass ihr Himmelskind ihnen heute auf ihren Weg gelegt hat.
Ich würde mir wünschen, dass Eltern genauso trauern dürfen, wie es sich für sie gerade richtig anfühlt, und dass die Angehörigen dableiben und auf sie warten, bis sie wieder soweit sind und einen Schritt hinaus in diese Welt wagen, die ihnen am Anfang ihrer Trauer noch so fremd vorkommt. Und dass sie sie dann auf ihrem Weg der Trauer begleiten… geduldig und verständnisvoll und sie als die Menschen akzeptieren und ansehen, die sie nach der Geburt ihres Sternenkindes sind: Nämlich als Eltern.
Du hast Deine Erfahrungen auf dem Weg der Trauer in einem Buch (Wenn aus Trauer Liebe wird) veröffentlicht. Möchtest Du ein paar Zeilen darüber verlieren? Wie kam es dazu und wie hat Dir das Schreiben geholfen?
Bereits wenige Monate nach dem Tod unserer Zwillinge spürte ich diesen starken Impuls, eines Tages ein Buch schreiben zu müssen. MEIN Buch. Ich habe den Tod überlebt. Ich habe in meiner tiefsten Trauer Leben erfahren. Und unsterbliche Liebe. Und Verbindung. Und Wunder. Und ich hatte das Gefühl, dass ich vielen trauernden Menschen mit diesen heilsamen Erfahrungen helfen könnte…. Ich wusste, tief in mir, dass es irgendwann dieses „mein Buch“ geben würde. Ich wusste, dass es irgendwann an der Zeit dafür sein würde, mit dem Schreiben zu beginnen. Und ich vertraute darauf, dass ich es spüren würde, wenn der Tag dafür gekommen wäre… Ja, und seit Ende 2019 ist mein Herzenswerk veröffentlicht. Und die vielen Rückmeldungen meiner Leser*innen bestätigen mir immer wieder, wie wichtig es war, dass ich meiner inneren Stimme, der Stimme meiner Engel, vertraut habe und mich zusammen mit Romy und Lenny ans Schreiben unserer Geschichte gewagt habe.
Was hat Dir in den schlimmsten Phasen der Trauer am besten geholfen?
Das Schreiben. Und mein Glaube daran, dass es meinen Kindern gut geht, dort wo sie jetzt sind. Ich kann das so oft spüren! Und diesem Gefühl zu vertrauen und in diesem Glauben die Verbindung zu meinen Kindern zu spüren, die lächelnd nicken und immer an meiner Seite sind, das hat mich letzten Endes nach und nach wieder heil werden lassen.
Was würdest Du Angehörigen/Freunden von Sterneneltern raten, wie sie am besten auf die Situation ein- bzw. damit umgehen können?
Indem sie zuhören. Einfach nur zuhören, und da sind.
In der Selbsthilfegruppe „Sternenkinder Coburg“ bist Du Ansprechpartnerin für andere Sterneneltern, wie oft finden Eure Treffen statt und wie kann man Euch erreichen?
Unsere Treffen sind einmal im Monat, nach telefonischer Vereinbarung. Meistens am 3. Mittwoch im Monat. Die Telefonnummer ist 0151 – 26217284, wir haben auch eine Facebookseite „Sternenkinder Coburg“ sowie eine Emailadresse sternenkinder-coburg@gmx.de, die ich regelmäßig abrufe und beantworte.
Welche anderen Anlaufstellen kannst Du noch empfehlen?
Ich selbst bin Trauerbegleiterin beim Sternenkinderzentrum Bayern und als Ansprechpartnerin im Raum Coburg tätig. Hier begleite und unterstütze ich trauernde Familien in Einzelgesprächen nach der Geburt ihres Sternenkindes. Das Sternenkinderzentrum Bayern ist ein Netzwerk aus Trauerbegleitern, Hebammen, Doulas, Gynäkologen, Sternenkinderfotografen und Psychologen. Unsere Arbeit ist für betroffene Familien kostenlos. Wir sind zu erreichen unter www.sternenkinderzentrum-bayern.de, der Rufnummer 0951 – 50906101 oder der Emailadresse info@sternenkinderzentrum-bayern.de.
Du bist ja Familientrauerbegleiterin Fachrichtung StillBirth Care – was kann man sich genau darunter vorstellen und wie läuft so eine Trauerbegleitung ab?
Ja, ich bin meinem Herzensweg gefolgt und habe diese wundervolle, so lebensbereichernde Ausbildung im Sternenkinderzentrum Bayern bei Helga Schmidtke absolviert. Im August dieses Jahres konnte ich schließlich nach erfolgreichem Abschluss meiner Ausbildung aus meiner Berufung meinen Beruf machen und wir gründeten die Außenstelle Coburg des Sternenkinderzentrums Bayern. Eine „Trauerbegleitung“ ist so individuell, wie der Mensch selbst, der diesen schweren Verlust erlebt hat. Zusammen schaffen wir während der Begleitung Raum für die Trauer um das geliebte Kind, wir räumen ihm nach und nach einen festen Platz innerhalb seiner Familie ein und stellen uns all den vielen Fragen und Gefühlen, die ein solcher Schicksalsschlag im Leben der Sternenfamilien aufwirft. Da zu sein, Nähe zu geben, zuzuhören und aus der Bahn geworfene Gedanken, Gefühle, Ängste und Sorgen zu sortieren, Worte zu finden für Unaussprechliches und einen Weg ins Leben zu finden – nicht zurück ins Leben, sondern nach vorne, in dieses andere, dieses neue Leben, und zu lernen, diesem Leben wieder zu Vertrauen und gemeinsam mit dem Sternenkind im Herzen neuen Lebensmut zu schöpfen – das sehe ich als meine Aufgabe als Familientrauerbegleiterin Fachrichtung StillBirth Care an. Und diese Arbeit erfüllt mich von ganzem Herzen!
Gibt es noch etwas, was Du abschließend anderen Sterneneltern und/oder auch Angehörigen von Sterneneltern sagen möchtest?
Traut euch, an Wunder zu glauben!
Wie kann man Dich am besten erreichen?
Ui, da gibt es viele Möglichkeiten. Entweder über meine Webseite: www.sandra-wagner-autorin.de. Dort gibt es ein Kontaktformular, worüber ich gerne Post erhalte und diese auch immer mit großer Freude beantworte.
Ich liebe den direkten Kontakt zu meinen Lesern und mein „Buch Wenn aus Trauer Liebe wird“ darf auch über dieses Kontaktformular bestellt werden!
Facebook ist auch eine Möglichkeit, mit mir Kontakt aufzunehmen und mich kennenzulernen. Ich habe einen Blog und schreibe regelmäßig Beiträge zu meinen Herzensthemen Trauer, Tod und Neubeginn.
Bei Facebook findet ihr mich unter https://www.facebook.com/SandraWagnerAutorinTrauerbegleiterin. Es geht auch per Email unter sandra-wagner-autorin@web.de und ganz klassisch unter der Telefonnummer 09569-9999726.
Besten Dank für das wunderbare Interview – ich wünsche Dir und deiner Familie nur das Allerbeste.
Ich danke dir für die tolle Möglichkeit, mich und mein Herzensthema hier vorzustellen!